Nachfolge professionell und ganzheitlich meistern
Ein typisches Szenario einer Nachfolge
Mein Vater hätte mich gerne für seine Nachfolge in seiner erfolgreichen Firma als Bewerber gesehen, doch ich habe abgelehnt. Denn in der Firma war kaum etwas dokumentiert, vieles war lediglich im Kopf meines Vaters gespeichert. Ich glaubte, kaum die Art von Unterstützung von ihm bekommen zu können, die ich mir gewünscht habe. Meine Befürchtung war ein ewiges Hin und Her zwischen zu viel und zu wenig Freiräumen. Ich war m.E. nicht der erfolgreiche Vertriebstyp, der ich seiner Meinung nach offenbar hätte sein müssen. Ich verfügte nicht über genug Selbstbewusstsein, um unabhängig von meinem Vater eigene Wege einzuschlagen und das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen, die Firma auf die „richtige“ Weise zu führen. Und überhaupt: Mir waren ganz andere Dinge wichtig als meinem Vater.
So oder anders könnte die Äußerung eines potenziellen Nachfolgers lauten, dem die Nachfolge des familiären Betriebes (zu früh) angetragen wird und das Angebot ausschlägt.
In diesem Artikel zeige ich die relevanten Fragestellungen auf, die bei einer Nachfolge zu beachten sind und im obigen Beispiel Vater und Sohn/Tochter wahrscheinlich sehr geholfen hätten. Im Artikel gehe ich ausschließlich auf die weichen Faktoren jenseits von Unternehmenswert, Finanzierung, Erb-, Vertrags- und Steuerrecht ein: Im Vordergrund stehen die Werte von Kunden, Mitarbeitern, Führungskräften und Nachfolgern, die maßgeblich die Organisation, deren Können und ihren Markterfolg beeinflussen.
Nachfolge in allen Organisationsfeldern stimmig gestalten
Für eine Nachfolge in der Familie steht im Idealfall genug Zeit zur Verfügung, denn Übergabe und Nachfolge sollten auf allen Organisationsfeldern verankert werden, die wir im Einzelnen hier darstellen. Die Reihenfolge der Bearbeitung entspricht dabei dem sogenannten Senkbleiprozess, den ich immer wieder aufgreifen und erklären werde:
Werte und Kultur
Ein oft unterschätzter Einflussfaktor bei einer Nachfolge ist der Unterschied zwischen bisher gelebten Werten eines Unternehmens und den Wertevorstellungen bzw. Werte-System der neuen Geschäftsführung. Dass sich die Werte-Systeme der Nachfolgegeneration zzt. erheblich ändern, zeige ich in unserem Erfahrungsbericht „Praxisfall Nachfolge“ auf.
Die Nichtbeachtung dieses Themas trägt wesentlich zum Scheitern von Unternehmensübergaben bei, zumindest aber für erhebliche Störungen innerhalb und außerhalb der Organisation. Die gelebten Werte einer Organisation haben großen Einfluss auf die Unternehmenskultur und sind entscheidend dafür, ob sie andere Menschen (Interessenten, Kunden, Bewerber, Partner) anziehen oder abstoßen. Sie entscheiden über die Attraktivität einer Organisation und deren Erfolg.
Bereits während aber auch nach erfolgter Übergabe bieten wir die Möglichkeit, einer Werteanalyse über den 9-Levels-Fragebogen. Ein bestehendes Leitbild kann über diesen Weg hinterfragt und aktualisiert werden.
Die Werte sind – um im Bild des Senkbleiprozesses auf einer Baustelle zu bleiben – der Nagel, an dem die Senkbleischnur aufgehängt wird. Das Senkblei zeigt auf die zu verrichtende Leistungserstellung des Unternehmens, den Unternehmenszweck. Nun kann man an der senkrechten Schnur die Mauer im rechten Winkel zur Erde hochziehen. Das gilt in diesem Sinne für die Ausrichtung aller Organisationsfelder!
Beziehungsmarketing und Strategie
Die Werte des Unternehmens sollten mit den Werten des Marktes abgeglichen werden. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, das Brücken baut, lebt die Werte Qualität und Sicherheit, damit die Brücke stabil gebaut werden kann. Ein Wertpapier-Broker dagegen ist wahrscheinlich deutlich risikobereiter, um Geld zu verdienen und lebt daher auch andere Werte: Mut, Erfolg, Prestige. In Pflegeberufen werden die Werte Hinwendung und Fürsorge gelebt.
Die Frage ist also, ob sich die Werte im Markt verändern. Welche Trends gibt es? Gibt es den Trend zur mehr Qualität, zu mehr Effizienz, zu mehr Kundenorientierung oder zu mehr Innovation? Müssen daher die Werte des Unternehmens angepasst werden?
Warum ist diese Frage wichtig? – Weil von der Beantwortung der Frage abhängt, wie Mitarbeiter/innen agieren sollen:
- Servicestrategie
Wie serviceorientiert sollen die kundennahen Prozesse ausgerichtet sein? Welche Services sollen angeboten werden? - Interaktionsstrategie
Wann, wie und wo können die Interaktionen zwischen Kunden und Mitarbeitern gestaltet werden? - Mitarbeiterstrategie
Welche Mitarbeiter braucht es passend zu den Werten, zur Service- und Interaktionsstrategie? Risikobereite, serviceorientierte oder sicherheitsbewusste Mitarbeiter? - Partnerstrategie
Welche Partner können passend zu Mitarbeitern und Leistungserbringung eingebunden werden?
Ein Generationswechsel im Führungspersonal bringt oft neue Ansätze mit. Passt das zum Markt? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Beziehungsgestaltung zu den Marktteilnehmern wie Kunden, Partnern, Mitarbeitern, Lieferanten und alle sonstigen Interessengruppen? Unreflektierte Versprechen können dazu führen, dass Kunden, Geldgeber und Mitarbeiter verunsichert werden, wenn die Versprechen des Marketings bei der Leistungserbringung gegenüber Kunden nicht eingehalten werden.
Kunden und Leistungserbringung
Und nun richten wir das Senkblei auf auf die zu verrichtende Arbeit aus, den Unternehmenszweck bzw. den Grund, warum das Unternehmen besteht: Die Leistungserbringung und die Kunden, die die Leistung abnehmen.
Es stellt sich nun die Frage, ob die Mitarbeiter die Versprechen gegenüber Kunden einlösen können. Passt die Leistungserbringung zu den Versprechen? Beschäftigt man passend zu den Versprechen und den oben erwähnten Strategien die passenden Leute? Welches Verhalten ist stimmig zu den lokal angesiedelten Kunden und deren Lebensumständen oder den Erwartungen der Internetkunden?
Im Rahmen der Nachfolge ist es empfehlenswert, diese Fragen zu beantworten und dann zusammen mit den Kundenbetreuern aus Vertrieb und Service Kundenbesuche zu machen, um die neue Geschäftsleitung einzuführen – insbesondere im B2B-Geschäft.
Kollaboration und Teamgeist
Im Zusammenhang mit der Leistungserbringung ist die Zusammenarbeit der Mitarbeiter zu untersuchen: Wird zum Beispiel Serviceorientierung ausgerufen und bei der Leistungserbringung eingefordert, dann sollte das im Team gelebt auch werden. Anderenfalls kommen Mitarbeiter immer wieder in den inneren Konflikt, Kunden optimal zu unterstützen, aber selbst die Unterstützung durch das Verhalten im Team nicht zu haben.
Die Frage ist also, welche Werte das Team leben sollte, damit es die Versprechen des Unternehmens gegenüber den Kunden einlösen kann, ohne frustriert zu sein. Das Senkblei – aufgehängt an den Werten und ausgerichtet auf die Leistungserbringung – hilft nun, die Teamarbeit und Kollaboration neu zu justieren.
Im Rahmen der Nachfolge sollten Teams erneut auf Ziele und Werte des Unternehmens eingestimmt werden. Zumindest ist eine lebhafte Diskussion der Ziele und Werte sinnvoll, um eine neue Vereinbarung zu schließen, sich neu aufeinander einzuspielen, um dann gemeinsam an einem Strang zu ziehen – in die gleiche Richtung natürlich! Die Erfüllung der Kundenbedürfnisse und des Unternehmenszwecks sollte im Mittelpunkt stehen.
Führungsverhalten
Das Senkblei ist nun auf die Leistungserbringung im Team ausgerichtet und damit auf den Grund und Boden, mit dem Geld verdient wird. Daran orientieren sich nun die Anforderungen an die Führungsarbeit und das Führungsverhalten. Die Frage lautet also, wie der Nachfolger und die Führungsebene führen müssen, damit sich das Können zeigt, das der Kunde sich wünscht. Welche Führungsprinzipien, -stile, -methoden und -werkzeuge benötigen Sie? Wie sorgen Sie dafür , dass ihre Mitarbeiter gerne ins Unternehmen kommen und das Unternehmen gerne nach außen hin repräsentieren?
Um es noch deutlicher zu machen: Es ist nicht entscheidend, welche Führungskräfte und damit welche Führungsstile vorhanden sind, die sich die Mitarbeiter gefallen lassen müssen. Es ist genau andersherum: Wie müssen ein Nachfolger und der erweiterte Führungskreis ihr Führungsverhalten stimmig zum Markt und zr Arbeit anpassen? Und: Taugen sie als Rollenvorbild?
Persönlichkeitsentwicklung
Im Zusammenhang mit der Nachfolge ist die Persönlichkeitsentwicklung mit der Entwicklung der Führungsfähigkeit gleichzusetzen. Was konkret muss die neue Führung persönlich lernen, um zu dem Führungsverhalten zu kommen, das der Unternehmenszweck und die Art der Leistungserbringung einfordert?
Dabei hilft es, sich der eigenen persönlichen Lebensbedürfnisse und Glaubenssätze bewusst zu werden und der sich daraus ergebenden Träume, Visionen und Ziele. – Und? Ist die Idee, die Nachfolge anzutreten jetzt noch attraktiv?
Und die Frage an den Übergeber eines Unternehmens könnte lauten: Wie haben Sie selbst eigene Ideen ins Leben gebracht und weiterentwickelt? Wie ist Ihre persönliche Lern- und Arbeitsmethodik? Welche Freiheiten konnten Sie genießen? Welche Freiräume sollten Sie Ihrem Nachfolger einräumen? Dieses Gewähren lassen und das Loslassen fällt umso leichter, je mehr Sie sich selbst eine attraktive Lebensperspektive für die Zeit danach erschlossen haben.
Sowohl für den Übergeber als auch den Nachfolger kann es ganz hilfreich sein, diese Fragen mit einem Coach zu reflektieren, denn Sie haben großen Einfluss auf das Gelingen der Nachfolge.
Organisation und Systeme
Schließlich müssen Nachfolger Führungskräfte noch die Aufbau- und Ablaufstrukturen sowie alle möglichen Systeme (Entlohnungs-, Anreiz-, Beurteilungs-, Entscheidungs-, Genehmigungssysteme usw.) am Senkblei ausrichten.
Die stimmige Anpassung von allen Umfeldfaktoren der Mitarbeiter und deren Leistungserbringung ist bedeutsam für die situative Mitwirkung der Mitarbeiter. Jetzt kommt alles zusammen: Passende Teamarbeit, passende Führung und eine passende Organisation sorgen für eine dichte und widerspruchsfreie Gestaltung aller Elemente. Diese ermöglicht es Mitarbeitern, mitzugehen und den Nachfolger zu unterstützen. Und der Clou:
Es muss an den Mitarbeitern nicht herumgemurkst werden.
Ein Überblick über Vorhandensein und Qualität alle Systeme, Dokumentationen und Wissensdomänen und damit über das verfügbare Human-, Beziehungs- und Strukturkapital eines Unternehmens lässt sich übrigens über eine Wissensbilanz gewinnen.
Fazit:
Das Durchlaufen der oben beschriebenen Organisationsfelder bietet viele Ansatzpunkte, um eine Nachfolge rechtzeitig vorzubereiten und hilfreich zu begleiten. In der eingangs beschriebenen Geschichte von der abgelehnten Übernahme des väterlichen Betriebs wäre ein solches Vorgehen vermutlich sehr hilfreich gewesen. Ziehen Sie einen externen Begleiter hinzu, der hilft, die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten mit der gebotener Distanz zur eigenen Person zu reflektieren.
Wir unterstützen Übergeber- und Nachfolger/innen darin, insbesondere verdeckte Interessen, Vorbehalte und Zweifel durch gezielte Fragestellungen aufzudecken, damit eine Übergabe
- mit realistischen Zielsetzungen einhergeht
- kontrolliert umgesetzt wird und
- nicht durch Unsicherheiten bei Mitarbeitern, Kunden und Partnern leidet.
Sie wollen sich mit diesem Thema noch tiefer auseinandersetzen?
Dann lesen Sie mehr über typische Probleme in der Unternehmensübergabe und -nachfolge auf der Seite Unternehmensübergabe & -nachfolge. Lesen Sie auch unseren Erfahrungsbericht Praxisfall Nachfolge.
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