Sichtbare und unsichtbare Grenzen
Sichtbare Grenzen
Im Gespräch mit einem Unternehmer habe ich kürzlich einen interessanten Aspekt entdeckt. Es gäbe einen wichtigen Unterschied zwischen deutscher und amerikanischer Managementliteratur bezüglich Personalthemen. So erfahre man in der amerikanischen Literatur, wann man als Chef seiner Leistungspflicht gegenüber Mitarbeitern genüge getan hat und wann der Mitarbeiter seinerseits verpflichtet sei, seinen Teil zur Gesamtleistung beizutragen. Unter welchen Umständen die Führungsarbeit gegenüber Mitarbeitern an Grenzen stößt, werde in deutschsprachiger Managementliteratur kaum bis gar nicht behandelt.
Dieser Aspekt ist für folgende Fragestellungen bedeutsam:
- Wann geht Förderung und Beziehungspflege von Mitarbeitern zu weit?
- Wie viel Förderung und Beziehungspflege ist leist- und zumutbar?
- Wann beginnt die Eigenverantwortung des Mitarbeiters?
Soll die Arbeitsbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter für beide Seiten gewinnbringend sein, so sollten beide Parteien aufeinander zugehen und Grenzen abbauen.
Eine wirksame Arbeitsbeziehung fängt da an, wo sich beide Parteien aufeinander einlassen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Hingegen sind die Grenzen wirksamer Beziehungsarbeit sichtbar da erreicht, wo eine der Parteien sich der Kooperation verweigert.
Beispiele:
- Die Führungskraft bietet mehrfach Unterstützung bei der Lösungsfindung durch Anleitung, Training, Coaching und erhöhter Fehlertoleranz – Der Mitarbeiter greift die angebotene Hilfe jedoch nicht selbständig auf, sondern lehnt sich bequem zurück.
- Das gilt auch im umgekehrten Verhältnis: Der Mitarbeiter erarbeitet regelmäßig Lösungen für Kundenprobleme und kommuniziert aktiv ohne genaue Ziele und Aufgaben zu erhalten, doch die Führungskraft hält das Engagement für selbstverständlich und kritisiert dauernd und ohne Maß(-stab) — aufgrund fehlender Planung — an Fehlern herum.
- Ein Mitarbeiter kritisiert seinen Kollegen konstruktiv, um Ideen für alternative Vorgehensweisen Raum zu geben, aber der Kollege weist Kritik entweder stets in Bausch und Bogen weit von sich, verfällt in Rechtfertigungen, Schuldzuweisung, Anklagen oder zieht sich zurück und mauert.
Beide Seiten haben Rechte und Pflichten. Jede Seite hat Hol- und Bringschulden. Beide Seiten müssen sich mal mehr, mal weniger auf der Mitte treffen. Fördern und fordern Führungskräfte ihre Mitarbeiter, ohne dass diese Leistung auf wirksame Gegenreaktion stößt, so ist diese Beziehung zu einseitig. Diese einseitige Förderung geht dann zu weit.
Führungskräfte können zweierlei tun (in dieser Reihenfolge):
- Sie sollten sich auf die Suche nach den Ursachen begeben und einer Lösung zuführen, wenn – ja wenn sich der Mitarbeiter darauf einlässt.
- Sie sollten sich Mitarbeitern zuwenden, die das Angebot besser aufzugreifen verstehen. Insofern entsteht eine gewisse Konkurrenz zwischen Mitarbeitern um gewährte Unterstützung. Es besteht die Möglichkeit, den Einsatz der knappen Ressource „Unterstützung“ verständlich zu kommunizieren. Dabei empfehle ich jedoch ein umsichtiges und für Dritte nachvollziehbares Vorgehen, das sich jederzeit rechtfertigen lässt.
Fazit:
Für eine Arbeitsbeziehung gehören 2 Parteien. Förderung ist so weit leist- und zumutbar, solange Mitarbeiter die gebotenen Impulse ziel- und lösungsorientiert aufgreifen. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter für die Zielerreichung und Erarbeitung von Lösungen beginnt spätestens da, wo Führungskräfte ziel- und lösungsorientiert Unterstützung geleistet haben. Grenzen werden abgebaut. Auf diese Weise austarierte Arbeitsbeziehungen erzeugen Nähe und gegenseitiges Verständnis und machen Organisationen vitaler.
Soweit zu den sichtbaren Grenzen wirksamer Beziehungsarbeit, die sich vorwiegend auf den Bereich der Mitarbeiterführung beziehen. Wie sieht es mit unsichtbaren Grenzen aus?
Unsichtbare Grenzen
Als unsichtbare Grenzen wirksamer Beziehungsarbeit bezeichne ich alle Vorkommnisse, die Arbeitsbeziehungen stören, aber für die Führungskraft viel schwieriger wahrnehmbar sind. Denn sie beziehen sich auf eigene blinde Flecken in Bezug auf die Wahrnehmung des eigenen Verhaltens und bewegen sich eher auf dem Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung.
Beispiele:
- Eine Führungskraft kritisiert die mangelnde Einsicht bei einem Mitarbeiter, dass seine Problemlösungskompetenz nicht ausreicht. Die Führungskraft selbst tut jedoch alles, um selbst keine Fehler oder mangelnde Kenntnisse zugeben zu müssen.
- Ein Beispiel aus dem Privatleben: Ein Hauseigentümer beklagt sich, dass andere Verkehrsteilnehmer ihm immer wieder die Einfahrt zuparken, er selbst stellt sich aber immer wieder „nur mal kurz“ auf den einzigen Behindertenparkplatz, weil der „gerade frei“ ist und „ja sowieso keiner kommt“. Er ignoriert dabei, dass just in diesem Augenblick immer wieder ein Auto am Platz vorbeifährt und vermeintlich einen normalen Parkplatz sucht. Das ist der Versuch sich rein zu waschen vom einem Verhalten, das man bei anderen kritisieren würde. Es handelt sich um eine Doppelmoral.
Was ist diesen 2 Beispielen gemeinsam?
In beiden Fällen wird z.T. heftige Kritik über das Verhalten anderer Menschen geäußert im festen Glauben daran, dass man genau dieses Verhalten selbst nicht zeigt (blinder Fleck). Besonders bei Arbeitsbeziehungen gibt es ein Glaubwürdigkeitsproblem.
- Wer möchte seine Leistungsfähigkeit von einer Führungskraft beurteilt wissen, die den gestellten Anforderungen selbst nicht gerecht werden kann?
- Wie viel Vertrauen bringt man einer Führungskraft entgegen, die eigene Fehler nicht zugibt oder sogar vertuscht?
Die Führungskraft begrenzt die Wirksamkeit ihrer Beziehungsarbeit selbst, ohne genau zu wissen womit. Von diesen unbewussten und aus eigener Sicht unsichtbaren, zum Teil selbst verschuldeten Begrenzungen gibt es viele. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, ohne dass es bemerkt wird.
Welche Möglichkeiten gibt es, ein den eigenen Ansprüchen entsprechendes Verhalten folgen zu lassen? Wie transformiert man die eigenen Ansprüche in entsprechende eigene Leistungen?
So bauen Sie Grenzen ab:
- Holen Sie sich von Ihren Mitarbeitern und Kollegen Rückmeldung, über Ihr eigenes Verhalten. Versuchen Sie, daraus zu lernen.
- Seien Sie ehrlich mit sich selbst. Machen Sie gewisse Fehler nicht selbst? Gestehen Sie sich und anderen selbst Ihre Fehler ein. Konsequent!
- Äußern Sie Kritik mit mehr Verständnis für den, der sie verursacht hat.
- Gehen Sie offen mit eigenen Fehlern um. Das schafft Nähe und Vertrauen.
- Seien Sie Vorbild, indem Sie anderen offen zeigen, mit welchen Bemühungen Sie versuchen, eigene unschöne Verhaltensweisen in den Griff zu bekommen.
Im Kurs Kommunikation und Gesprächsführung behandeln wir weitere Aspekte zum Thema.
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Sven Löbel
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