Dialog – die unterschätzte Kulturtechnik

Guter Dialog entfesselt Potenziale und sorgt für Innovationen

Das Wort „Dialog“ — wie häufig habe ich früher dieses Wort gehört oder gelesen und mir innerlich gesagt: „Klar! Dialog ist Unterhaltung und Gesprächsführung!“ Ich habe es innerlich abgenickt in der tiefen Gewissheit, was es bedeutet: Zuhören, Austausch, Diskussion und Auseinandersetzung mit anderen Menschen über bestimmte Themen.

Geht es Ihnen auch so? Sie wissen ganz bestimmt, was Dialog bedeutet? Dann lassen Sie es darauf ankommen und lesen Sie diesen Artikel. Ich wette, dass nicht wenige Leser nach diesem Artikel darüber anders denken werden.

Dialog - Hygiene- und Motivationsfaktor - SL Beziehungsarbeit Team

 

Interesse ohne Dialog ist sinnlos

Im letzten Artikel habe ich über das Interesse an anderen Menschen geschrieben. Traditionell wird Empathie als Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, verstanden, die mehr geübt werden sollte. Doch ich habe hoffentlich mit dem Irrtrum aufgeräumt, Empathie wäre der Anfang guter Beziehungen. Das Gegenteil ist der Fall. Empathie ist eine Fähigkeit, die am Ende aller Bemühungen steht, Mitmenschen zu verstehen und sie muss immer wieder neu gewonnen werden.

Nun der zweite Schritt: Interesse ohne Dialog ist sinnlos. Interesse ist ein wichtiger innerer Impuls, der aus Wahrnehmung und Neugier erwächst. Und gleich nach dem Interesse folgen Hinwendung und Dialog. Ohne Dialog erfahren wir von unseren Mitmenschen üblicherweise wenig. Menschen definieren sich über teils verborgene Werte, Zugehörigkeiten, Bedürfnisse, Visionen, Missionen und persönliche Eigenschaften und Qualitäten. Nur über Dialog können wir die Identität und das Wahre anderer Menschen ausreichend tief in Erfahrung bringen.

In Erfahrung bringen wir etwas durch Erforschung, Beobachtung und Befragung und nicht durch Plappern. Fragen und zuhören sind die hervorstechenden Techniken des Dialogs. So weit, so gut. Aber was verbirgt sich wirklich dahinter?

 

Zuhören ist alles andere als einfach!

„Hör doch endlich mal zu!“ — wie häufig habe ich das schon gehört. Dass das aber eine Technik ist, die aus mehreren Facetten besteht, die man üben, erleben, verstehen und verinnerlichen muss, war mir lange nicht klar, weil ich — wie wohl viele von uns — selbst kaum Vorbilder und Lehrer hatte. Denn zum Zuhören gehört nicht nur, dass man aufgefordert wird, die Lauscher aufzustellen, sondern dass man auch erfährt, was man unterlassen muss. Es kommt auf die inneren Schalter an, die im Kopf umzulegen sind:

  • Umgang mit den eigenen Glaubenssätzen darüber, wie die Welt, andere Menschen und man selbst funkioniert.
  • Umgang mit tief verwurzelten und unbewusst aufgerufenen Abwehrroutinen (Mechanismus der Rechtfertigung und Selbstvergewisserung), die anderes Denken nicht zulassen, um sich selbst vor unangenehmen Wahrheiten zu schützen.
  • Das innere Stimmenwirrwarr und das innere Geplapper zum Schweigen bringen.

Um die Herausforderungen deutlich zu machen, gehe ich im Folgenden darauf ein, wie Unternehmen vom Dialog profitieren, um innovativer und vitaler zu werden. Die Vitalität eines Unternehmens definiere ich als Anpassungs- und Überlebensfähigkeit in sich verändernden Märkten. Es geht um die lernende Organisation durch lernende Teams.

 

Dialog verbessert eigenes Denken und Unternehmenserfolg

Dialog ändert nicht nur das eigene Denken, sondern man wird nach Stephen R. Covey (Buchtitel: Die sieben Wege zur Effektiviät — Ein Konzept zur Meisterung Ihres beruflichen und privaten Lebens) danach selbst besser verstanden und erfolgreicher. Peter M. Senge schreibt in seinen Buch „Die fünfte Disziplin — Kunst und Praxis der lernenden Organisation“ über Glaubenssätze (mentale Modelle), die durch den Dialog eine wesentliche Entwicklung erfahren und das Unternehmen erfolgreicher machen. Unternehmer Rainer Schmidt führte in seinem Unternehmen gezielt Kommunikationsmethoden ein, um den Erfolg zu steingern und beschreibt dieses in seinem Buch „Immer richtig miteinander reden“. Es muss also etwas dran sein.

 

Dialog ist Lernen und bringt Erfolg!

Um auf die Frage einzugehen, was Dialog ist und was nicht, möchte ich einen Umweg gehen. Lassen Sie mich den Fokus zunächst auf das Team-Lernen und die damit verbundenen Veränderungen von Glaubenssätzen richten, die eine Verbesserung des Erfolgs ermöglichen.

Nach Senge sind mentale Modelle unsere persönlichen Glaubenssätze darüber, wie Menschen, Systeme, Dinge und die Welt im Allgemeinen funktionieren. Sie bleiben meistens verborgen, sind jedoch für unser Handeln ganz und gar Grund legend. Häufig kommt es in Teams zu Konflikten, weil man über diese unterschiedlichen Glaubenssätze nicht spricht. Man redet aneinander vorbei, obwohl man der Meinung ist, über das Gleiche gesprochen zu haben.

Die Frage ist, wie man diese Glaubenssätze bzw. mentalen Modelle an die Oberfläche holt, um sie miteinander abzugleichen, Irrtümer auszuräumen, Konflikte zu lösen und damit eine erfolgreichere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Dazu bieten sich mehrere Möglichkeiten an:

1. Ein gemeinsamer offener Dialog in der Gruppe
2. Eine gemeinsame Unternehmensplanung

Gelernt wird also nicht nur durch den Einzelnen, sondern auch durch die Gruppe. Team-Lernen ist ein dynamischer Prozess in einer Gruppe, der situativ erlebbar ist. Es geht nicht um klassisches Wissensmanagement durch Dokumentation und Bereitstellung von Wissen. Der dynamische Lernprozess der Gruppe muss aktiv hergestellt werden, kommt aber nur dann zum Laufen, wenn die Gruppe über eine gewisse Reife (Ich-Entwicklung der einzelnen Gruppenmitglieder) verfügt und an ihn aktiv herangeführt wird.

 

Dialog versus Diskurs

Nun zurück zur Frage, was Dialog ist und was nicht: Der Dialog ist abzugrenzen vom Diskurs bzw. von der Diskussion:

  • Der Dialog dient dem erforschen des Themas, ohne Werturteile zu fällen oder Entscheidungen zu treffen. Es geht darum zu erforschen, wie andere Teammitglieder über das gewählte Thema denken. Man kann es sich vorstellen wie der gemeinsame Versuch, das Thema von allen Seiten offen und ehrlich zu betrachten. Stellen Sie sich einen Tischtennisball vor, der so oben auf die Fontäne eines Springbrunnens gesetzt wird, dass er dort durch die einzelnen Wasserstrahlen fixiert bleibt und sich dennoch bewegt. Einwände sind im Dialog nicht hilfreich, weil so das Erforschen unterbrochen oder sogar ganz gestoppt wird. Das würde beim Springbrunnen dem Abschneiden des Wasserstrahls durch einen Beteiligten entsprechen, so dass der Ball ins Becken hinab fiele.
  • Der Diskurs dagegen ist das Instrument des Plädierens. Die Beteiligten nehmen eine inhaltliche Position ein und verteidigen diese dann argumentativ. Es geht darum, auf Basis der besten Argumentation oder nach Integration verschiedener Positionen eine Entscheidung zu fällen. Vorsicht: Nicht gemeint ist das Zustandekommen von Konsens. Alle Beteiligten sollten sich zudem davor hüten durch die Position, die sie vertreten, selbst vereinnahmt zu werden. Es gilt also auch flexibel zu bleiben.

Beide Interaktionsformen sind wichtig, aber sie müssen klar voneinander abgegrenzt werden.

Erst Dialog, dann Diskurs!

 

Voraussetzung für guten Dialog

Die Voraussetzungen für einen guten Dialog bestehen in 3 Bedingungen:

  1. Eigene Annahmen offenlegen
    Teilnehmer müssen zunächst ihre eigenen Annahmen über das Funktionieren von Menschen, Dingen und der Welt (Glaubenssätze, Überzeugungen) für die Dauer des Dialogs beiseite stellen bzw. so transparent darstellen, das man erkennt, wieso ein Teilnehmer das behandelte Thema auf eine bestimmte Art sieht. Das ist alles andere als einfach und erfordert eine Menge Bewussheit, profunde Ehrlichkeit, Offenheit und Disziplin. Es geht nicht darum, seine eigenen Sichtweisen zu verteidigen oder durchzusetzen, um gewinnen zu wollen! Das verlangt nach der Fähigkeit loslassen zu können (Ich-Reife).
  2. Gesprächspartner auf Augenhöhe
    Teilnehmer sollten sich als gleichberechtigte Gesprächspartner auf Augenhöhe partnerschaftlich begegnen. Das klingt zwar banal, ist aber von außerordentlicher Bedeutung. Ein Zeichen dafür ist der Austausch unterschiedlicher Ansichten, anstatt sich nach dem Munde zu reden oder sich gegenseitig zu bekämpfen. Das Aufheben von hierarchischem Gefälle ist insbesondere für Führungskräfte eine große Herausforderung. Zusammen mit dem Aufheben von Annahmen (Punkt 1) ohne deren Verteidigung führt das zu einer ungewohnten Verwundbarkeit. Denn schließlich führt das zur Offenlegung von Denkfehlern. Diese werden jedoch durch den Dialog mehr als wettgemacht.
  3. Helfender Begleiter
    Es braucht einen helfenden Begleiter, der die Teilnehmer im Dialog unterstützt. Er erfüllt viele grundlegende Pflichten eines Prozessbegleiters, unter anderem die, den Prozess am Laufen zu halten. Besonders achtet er darauf, dass unausgesprochene Annahmen den Prozess nicht behindern, indem diese transparent gemacht werden und dass nicht in diese ferflixten Abwehrroutinen abgeglitten wird, die reflexartig aufgerufen die Ideen anderer abwürgen oder eigene Denkfehler verschleiern sollen. Auch Gewinner-Verhalten soll auf diesem Verhalten in konstruktive Bahnen gelenkt werden.

 

Echter Dialog weckt Vertrauen und Mut

Der sich so entspannende Dialog führt zu einzigartigen Beziehungen tiefen Vertrauens. Ansichten werden sanft vertreten, ohne Kränkungen herbeizuführen. Niemand muss sich aggressiv durchsetzen, um sich selbst zu schützen. Es wird eine sichere Umgebung geschaffen, in der emotionale Bedrohungen durch die Preisgabe womöglich naiver oder gar peinlicher Ideen konsequent abgebaut werden. Die Fertigkeiten des Dialogs können immer weiter vervollkommnet werden. Es entsteht ein tiefes gemeinsames, motivierendes und inspirierendes Lernen getragen von gegenseitigem Verständnis und Respekt, nicht trotz, sondern wegen unterschiedlicher Ansichten. Einigung und Konsens sind nicht notwendig. Jeder entwickelt den Mut, sich mit seiner Expertise und Sichtweise einzubringen.

Das Ergebnis ist ein Strom äußerst positiver Energie. Jeder der so etwas schon einmal erlebt hat, weiß worüber ich hier schreibe. Und jeder, der das schon einmal erlebt hat, weiß wie demotivierend es ist, wenn es eins ums andere Mal nicht zustande kommt. Ein echter Kündigungsgrund. Integration und Synergie enstehen.

Dialog - SL Beziehungsarbeit Team-Lernen

Die im Bild erwähnten Farben blau, orange und grün stehen für Werte-Systeme, die Sie dem entsprechenden Artikel dieses Blogs entnehmen können.

Der Nutzen guten Dialogs

Die Dialogform ist von unschätzbarem Vorteil, weil sie eine der wenigen Kulturtechniken ist, die die verschiedenen Denkweisen aller Beteiligten hervorlockt. Im ersten Schritt ist ein gelungener Dialog ein Hygienefaktor, der innere Kündigung bei Mitarbeitern und Führungskräften verhindert. Im zweiten Schritt ist es ein Motivationsfaktor, der Innovationen ermöglicht und die Überlebensfähigkeit, die Vitalität des Unternehmens spürbar verbessert (siehe oberstes Bild).

Stellen Sie sich vor, Sie wollen in Ihrem Unternehmen folgende Geschäftsgrundlagen gemeinsam erstellen:

  • eine Vision
  • ein Geschäftsmodell
  • eine passende Aufbau- und Ablauforganisation
  • Zielsetzungen und Strategien
  • Szenarien zu verschiedenen Marktentwicklungen
  • Abstimmung unterschiedlicher Aufgaben und Zielsetzungen zwischen Abteilungen und Mitarbeitern

Ich habe festgestellt, dass ein zielgerichtetes Arbeiten an einer dieser Grundlagen nicht nur sehr schnell mentale Modelle offenlegen kann (bei entsprechender Vorbereitung und Begleitung durch einen Helfer), sondern zudem folgende Vorteile für ein Team mit sich bringt:

  • die Ausbildung eines eng verzahnten Miteinanders (statt Gegeneinanders) aufgrund eines tiefen Verstehens der Denkweisen von Kollegen und Kolleginnen,
  • die Ausbildung tiefen Vertrauens in die Expertise anderer Fachbereiche,
  • hervorragend abgestimmte Pläne zur Zusammenarbeit, wobei auf dieser Basis nicht unbedingt die Einhaltung des Planes im Vordergrund steht, als vielmehr die dauerhaft hervorragende Kooperation und Kollaboration im Geiste des ursprünglichen Plans,
  • ein viel besseres Betriebsklima geprägt von gegenseitiger Unterstützung und Zusammenhalt,
  • eine deutlich verbesserte Unternehmensleistung,
  • Inspiration, mehr Innovationen und Zuversicht in die Zukunft.

Machen Sie sich auf den Weg:
Etablieren Sie Dialog und Diskurs in Ihrem Unternehmen
für eine lernende Organisation!

 

Haben Sie Fragen oder wollen Sie diskutieren?

Nun? Haben Sie jetzt ein anderes Bild von dem Wort Dialog? Ja? Nein? Nutzen Sie unten die Kommentar-Funktion. Ich freue mich auf Ihre Beiträge, Fragen, Anregungen und Kritiken.

Oder nehmen Sie Kontakt zu uns auf, wenn wir Ihnen helfen sollen, echten Dialog in Ihrem Unternehmen zu verankern. Es hört sich einfach an, ist es aber leider nicht.

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Sven Löbel
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