Rollen definieren, verstehen und nutzen

Wie Rollenverständnis die Beziehungsarbeit fördert

Kürzlich hatte ich mit der Geschäfts- und Personalleitung eines erfolgreichen Mittelständlers eine Unterhaltung über Rollen. Gemeint war insbesondere die Führungsrolle von Teamleitern. Die Aussage seitens der Geschäftsleitung war:

Die Teamleiter sollen in die Führungsrolle schlüpfen und ihrer Führungsverantwortung gerecht werden. Private Ansichten sollen die Teamleiter in diesem Moment ablegen.

Tja — wenn das so einfach wäre…

Diesen Beitrag finden Sie übrigens auch unter #FortschrittBeziehung der Manufaktur für Wachstum, die freundlicherweise zur Blog-Parade eingeladen hat. Herzlichen Dank dafür an Stephan Stockhausen.

Rollen spielen

Man kann eine Rolle spielen — klar. Doch die Frage ist, ob die Rolle überzeugend gespielt wird. Wenn ja, wird man ernst genommen. Wenn nicht, wird es schwierig. Das ist wie bei guten oder schlechten Schauspielern, egal ob in Kino, TV oder Theater.

Im Artikel Leadership Lifestyle habe ich beschrieben, dass eine Rolle — wenn sie nicht aufgesetzt wirken soll — etwas mit dem Menschen dahinter zu tun hat. Im besten Fall lebt sie ihre Rolle, indem sie sie nicht nur spielt, sondern auch verkörpert. Je weniger das gelingt, desto eher droht ein Rückfall in persönlich gewohnte Überzeugungen und Haltungen. Es droht ein „aus der Rolle fallen.“ Das kann verhindert werden, wenn sich Menschen in die Rolle hinein entwickeln. Die Organisation muss dazu den passenden Rahmen schaffen. Beides braucht Zeit.

 

Vielfalt und Flexibilität von Rollen

Eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren erfolgreicher Unternehmen ist der geübte Umgang mit verschiedensten Rollen, z.B. mit den Rollen des Teamleiters, Mitarbeiters, Moderators, Projektleiters usw. Einige Hinweise dazu:

  • Rollenvielfalt bedeutet, dass eine Organisation unterschiedlichste Rollen ausgebildet hat und dass eine Person verschiedene Rollen leben und ausfüllen kann!
  • Jede Person sollte im flexiblen Wechsel der Rollen geübt sein – situativ angemessen und passend zu den eigenen Stärken. Die Organisation sollte Rollenflexibilität unterstützen und fördern.

 

Rollen: Vielfalt, Flexibilität, Verständnis - SL Beziehungsarbeit Unternehmen

Genauso wie eine Person in seiner privaten Umgebung gleichzeitig und ganz automatisch verschiedene Rollen einnimmt wie z.B. Schwester, Tochter, Mutter, Großmutter, Tante usw. ist die Rollenvielfalt in Unternehmen häufig sehr stark eingeschränkt.

Für ein effektives und effizientes Miteinander ist es vorteilhaft auch andere Rollen aus eigener Erfahrung kennenzulernen und im Wechsel einnehmen zu können. Das steigert Empathie, Nähe, Verständnis und gegenseitiges Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Rollenvielfalt kennt unterschiedliche Richtungen in der Organisation, um Beziehungsarbeit zu verbessern:

  • vertikal
  • horizontal

Rollenvielfalt vertikal - SL Beziehungsarbeit Unternehmen

Vertikal
Besteht in der Organisation eine vertikale Rollenvielfalt, können sich Organisationsangehörige besser in die Rollen anderer Hierarchieebenen einfühlen und Verständnis entwickeln. Es ist vorteilhaft, wenn sich Chefs und Teamleiter in Mitarbeiter und deren Gefühle und Bedürfnisse hineinversetzen können, ebenso wie es hilfreich ist, wenn sich Mitarbeiter und Teamleiter in die Anliegen, Bedürfnisse und Emotionen Ihrer Chefs einfühlen können. Diese Rollen sollten möglichst nebeneinander gelebt werden, damit Unternehmensangehörige nicht in eine Rollenstarre verfallen. Größtmögliche Flexibilität macht eine Organisation vital.

Der vertikalen Rollenvielfalt ist die Idee der Holokratie von Brian J. Robertson (mehr dazu hier) sehr nahe. Sie sorgt nämlich für eine sehr hohe vertikale Durchlässigkeit in der Organisation durch das Konzept der Kreise mit Rep- und Lead-Link (zum Artikel).

 

Rollenvielfalt horizontal - SL Beziehungsarbeit Unternehmen

Horizontal
Zum Beispiel mit TMS-Profilen gelingt es, die in einem Team vertretenen Rollen zu analysieren. Teammitglieder erhalten so Kenntnis über die Stärken und optimalen Einsatzgebiete von sich selbst und Ihren Kollegen. Denn jede Rolle hat ihre Zeit, in der sie sich wirksam einbringen kann.

Teamrollen im Arbeitsprozess - SL Beziehungsarbeit Unternehmen

Quelle: Udo Haeske: Team- und Konfliktmanagement – Teams erfolgreich leiten, Konflikte konstruktiv lösen, (Cornelsen) Berlin, 2002

 

Wie Rollen zustande kommen

Die Entwicklung von Rollen im Unternehmen ergibt sich u.a. aus

  • klassischen Berufsbildern
  • typischen Arbeitsplatzbeschreibungen
  • unternehmensspezifischen Bedürfnissen

Vorgehen

  1. Grundsätzlich wird festgestellt, was an bestimmten Stellen des Unternehmens zu tun ist. Erwartungen werden als Anforderungen formuliert.
  2. Das Ergebnis mündet in eine Liste mit Zuständigkeiten, Verantwortung zur eigenen Ergebniskontrolle und Rechenschaftspflichten.
  3. Die gelisteten Zuständigkeiten formen unterschiedliche Rollen.

Wichtige Regeln

  • Jedes Mitglied einer Organisation kann multiple Rollen ausfüllen.
  • Jede Rolle wird nach und nach vervollständigt bzw. verändert.
  • Die Anpassungen erfolgen zeitnah aufgrund von aufgetretenen Spannungen, nicht früher und auch nicht später.

 

Rolle ist nicht Stelle!

Eine Rolle sollte nicht mit einer Stelle verwechselt werden. Eine Stelle (hierarchische Welt) entspricht nicht den Anforderungen, die oft mit der heutigen Dynamik und Komplexität (vitale Welt) einhergehen.

Bildung von Rollen - SL Beziehungsarbeit Unternehmen

Traditionelle Stellenbeschreibungen lösen sich aus vielerlei Gründen zunehmend auf:

  • Die Stellen beschreiben selten die persönlichen Anforderungen, die an einen Stelleninhaber gestellt werden.
  • Stellen sind Relikte einer hierarchischen und arbeitsteiligen Welt, die in der modernen Dienstleistungs-, Service- und Wissensgesellschaft an Bedeutung verlieren.
  • Ein Mix aus verschiedenen Rollen beschreibt die Anforderungen an eine Person viel besser, weil darin die Kombination von Fachgebiet und persönlicher Eignung aufgrund persönlicher Arbeitspräferenzen besser beschrieben wird.
  • Die althergebrachte Stelle erfährt eine Anpassung an die Person, die den Arbeitsanforderungen gerecht werden muss.
  • Die Person wächst in die multiplen Rollen hinein und gestaltet sie individuell aus.
  • Der Mensch kann und soll zunehmend flexibel und eigenverantwortlich reagieren können – besonders in Bezug auf neue Arbeitswelten (New Work): Lesen Sie dazu mehr in diesem Artikel.

Darüber hinaus werden Rollen so menschlicher und werden eher angenommen, insbesondere wenn Inhalte verhandelt werden können. Die Identifikation mit der Rolle wächst.

Bedürfnisse von Organisation und Menschen werden über diesen Weg vielschichtig und flexibel integriert — besser als es eine Stellenbeschreibung zu leisten vermag.

 

Beziehungsarbeit und Rollenverständnis fördern

Was passiert, wenn die Rolle und der Mensch dahinter nicht unterschieden werden?

Ein Beispiel:
Ein Mitarbeiter, der als Prozess- und Qualitätsingenieur eingesetzt wird, kommuniziert gegenüber seiner Chefin — die er nur selten zu Gesicht bekommt und gemäß den Anforderungen, die sein Arbeitsfeld an ihn stellt — sehr detailliert. Aus der detailorientierten Kommunikationsweise schlussfolgert sie, dass ihr Mitarbeiter für eine verantwortungsvollere Rolle nicht geeignet ist, da er sich vermutlich verzetteln würde. Denn für den ausgeschriebenen Programm-Manager braucht es jemanden mit dem Blick fürs Ganze.

Analyse

  • Der Mitarbeiter hat nicht typgerecht bzw. rollengerecht mit seiner Chefin kommuniziert. Ihm waren Rollen und sich daraus ergebende Interessen und Bedürfnisse nicht klar.
  • Die Chefin kennt Ihren Mitarbeiter nur aus der Rolle des detailorientierten Prozess- und Qualitätsmanagers und aus der Rolle des Hilfe suchenden Mitarbeiters. Von der Rolle schließt sie auf persönliche Eigenschaften.

Fazit

Beide kennen sich nicht gut genug, weil sie keine tragfähige Arbeitsbeziehung aufgebaut haben. Die Sichtweise auf den jeweils anderen ist sehr beschränkt, denn sie unterscheidet nicht zwischen Rolle und Person. Es wurde unzulässig aus dem rollenspezifischen Verhalten auf die Eignung für andere Aufgaben geschlossen. Dadurch leidet die Organisation, weil sie z.B. den  möglichen Bewerberkreis zur Besetzung einer neuen Position frühzeitig einschränkt.

  • Sich selbst, Mitarbeiter, Kollegen und Chefs in anderen Rollen kennenzulernen, bietet die Chance, andere Fähigkeiten und Eigenschaften an sich und ihnen zu entdecken und schätzen zu lernen.  Beziehungen werden vielschichtiger und Begegnungen passender.
  • Die Organisation hat dafür zu sorgen, dass verschiedene Rollen, Befähigungen und Talente gelebt werden können und dadurch sichtbar werden.
  • Zwischen Emotionen zu unterscheiden, die durch die Person erzeugt werden, und den Emotionen, die durch die Rollen erwachsen, die die Person ausfüllt, ist schwierig. In der Unterscheidung sollte sich jeder üben.
  • Der Wechsel von einer zur anderen Rolle muss für an der Kommunikation Beteiligte deutlich angezeigt werden.
  • Rollenvielfalt und Rollenflexibilität und die sich daraus veränderte Kommunikation müssen wesentlich häufiger explizit zum Thema gemacht werden. Dazu braucht es qualifizierte Rückmeldung — z.B. vom betriebsinternen Coach für Beziehungsarbeit für Begegnungen.

 

Ein tiefes Rollenverständnis, Rollenvielfalt und Rollenflexibilität sind wesentliche Beiträge zu wirksamer Beziehungsarbeit und machen Unternehmen vital.

 

Entwicklungsarten und Entwicklungsrichtungen

Der beschriebene Zuwachs an Vitalität lässt sich für ein Unternehmen auf verschiedenen Wegen erreichen. Dabei gilt, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden muss.

Rollenvielfalt & Rollenflexibilität - SL Beziehungsarbeit Organisationsentwicklung

Es ist denkbar, dass

  • sich eine Organisation vitalisieren lässt, indem Rollenvielfalt und Flexibilität bewusst thematisiert wird und das Unternehmen sich über den Weg der damit einhergehenden Persönlichkeitsentwicklung ebenfalls weiterentwickelt.
  • die Organisation durch neue Arbeitsprinzipien und Strukturierung die in ihr arbeitenden Menschen fordert und darin fördert, neue Rollen auszubilden und ihnen flexibel gerecht zu werden. Über diesen Weg findet zudem Persönlichkeitsentwicklung statt — on the job!

Reine Personalentwicklung wird nicht dazu führen, dass sich Organisationen nennenswert verändern. Das haben die letzten Jahrzehnte der Personalarbeit leider eindrücklich bewiesen.

Die Stabsstelle HR ist tot! Organisationsentwicklung lebt!

 

Der Nutzen von Rollen für Unternehmen

Einige Vorteile aktiv gelebter Rollen wurden schon genannt. Hier eine erweiterte Liste:

  • Menschen im Unternehmen lernen sich vielseitiger kennen. Weitere Stärken und Fähigkeiten treten zu Tage, die im Unternehmen Umsatz und Ertrag steigernd bzw. Kosten senkend genutzt werden können.
  • Die interne Suche nach Talenten wird erheblich unterstützt, weil Talente besser und früher findbar sind.
  • Mitarbeiter und Teams können mehr Selbständigkeit entwickeln, wenn es eine facettenreiche Herausforderung mit facettenreichen Lösungen zu meistern gilt.
  • Konflikten kann durch die erhöhte Empathie, Rollenflexibilität und Verständnisbereitschaft besser vorgebeugt werden. Konflikte eskalieren weniger und können schneller gelöst werden. Es tritt der Konflikt der Rollen in den Mittelpunkt, statt der Konflikte zwischen Menschen.
  • Das Unternehmen wird dynamischer und kann Komplexität besser gerecht werden. Das Unternehmen wird vitaler. Das ist eine Grundvoraussetzung für innovativere Produkte, Dienstleistungen und Services.
  • Die Mitarbeiterzufriedenheit steigt, weil sich Mitarbeiter individueller, ideenreicher und konfliktärmer einbringen können. Arbeitserfolge werden leichter möglich.
  • Das Unternehmen wird attraktiver für kompetente Bewerber von außen.
  • Die Kundenzufriedenheit wird steigen.

Die Beziehungsarbeit zwischen Menschen im Umfeld des Unternehmens — egal ob intern oder extern — profitiert erheblich!

 

Wie wir helfen

Wir bringen Impulse ins Unternehmen, auf deren Basis unternehmensspezifische Lösungen zur Organisationsentwicklung gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet werden. Die Erarbeitung erfolgt begleitend und und in der Umsetzung behutsam über einen längeren Zeitraum, damit alle Beteiligten Schritt halten können und die Chance erhalten, auftretende Probleme zu benennen und mit Kollegen in begleiteter Eigenregie zu meistern.

 

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Sven Löbel
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